01.11.2022 | Theologie | Intensivierung der Interaktion
«Religionen in Bern» neu konzipiert: Kollaboratives Lernen zur Förderung inter-religiöser Kompetenzen

Projekttitel | «Religionen in Bern» neu konzipiert: Kollaboratives Lernen zur Förderung inter-religiöser Kompetenzen |
---|---|
Projektleiterin / Projektleiter / Projektleitende | Dr. Maria Lissek / Sina von Aesch |
Fakultät | Theologie |
Institut | Institut für Historische Theologie |
Projektlaufzeit | FS 22 / HS 22 |
Abstract
Die Hauptkompetenz des Studiengangs der «Interreligiösen Studien» (IRS) ist das Einüben eines Perspektivenwechsels: Studierende der IRS lernen die Perspektiven verschiedener religiöser Traditionen einzunehmen, sich mit sowie zwischen ihnen zu verständigen und auf diese Weise zwischen religiösen Sichtweisen zu vermitteln. Für diese Kompetenz ist es zum einen grundlegend, sich Fachwissen über die Religionen, Konfessionen und religiösen Strömungen anzueignen. Zum anderen soll dieses Wissen mit Vertreter_innen verschiedener Traditionen in einen Austausch gebracht werden, um so das Verständnis der jeweiligen Perspektiven zu fundieren. Studierende der IRS bewegen sich auf diese Weise im «inter» des Religiösen und erwerben somit Fähigkeiten, die für Dialog, Verständigung und Konfliktbewältigungen in einer pluralen und mehrdimensionale Welt relevant sind.
Jedes Frühlingssemester wird für Studierende der IRS an der Theologischen Fakultät sowie Interessierten aus angrenzenden Fächern die Übung «Religionen in Bern» angeboten. Zur Fokussierung auf die Förderung der eingangs erörterten Kompetenz des Perspektivenwechsels sowie mit Blick auf die Auswertung der Evaluationen der vergangenen Durchgänge ist die LV für das Frühlingssemester 2022 neu konzipiert worden. Die Neukonzeption verfolgt drei Hauptziele: (1) Auf Basis des pädagogischen Ansatzes des kollaborativen Lernens sollen sich die Teilnehmenden (TN) gemeinsam Fachwissen über die religiösen Traditionen erarbeiten. (2) Die TN sollen mit Vertreterinnen und Vertreter verschiedenerer Religionen und interreligiöser Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis ins Gespräch kommen. (3) Die Erkenntnisse aus dem gemeinsamen Lernen und den Begegnungen sollen in einem öffentlich zugänglichen Blog mit Beiträgen der TN festgehalten werden.
Die Hauptziele der LV ergeben einen dreifachen Zweck: (1) Durch das Zusammenbringen von TN mit Vertretern und Vertreterinnen aus Theorie und Praxis wird die für den Studiengang wichtige Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit konkret betreten. (2) Die TN können mit Kommilitoninnen und Kommilitionen und Vertreterinnen und Vertreter aus Praxis und Theorie interreligiöse Kompetenzen einüben, die für das spätere Berufsfeld von Relevanz sind. (3) Die digitalen Blogeinträge halten die Erkenntnisse des gemeinsamen Lernens für alle TN fest und dienen dazu, die Diskussionen sowie Erkenntnisse im peer review im Nachgang zu reflektieren.
Die Konzeption der LV orientiert sich am Produkt der Ergebnissicherung: neu soll ein Blog «Religionen in Bern» auf der Website des Teams IRS entstehen, der studentische Artikel in Form eines «Wiki» für ein breites Publikum zugänglich macht und die Grundlage für die folgenden Übungen der nächsten Jahre sowie zur Nutzung für andere LV im Studiengang IRS bildet. Dazu ist ein Semesterthema gewählt worden (im FS 22: «Krieg und Frieden»). Anhand dessen können die Hauptcharakteristika der Religionen in Bern mit Blick auf ein ganz bestimmtes Thema erarbeitet werden. Die thematische Fokussierung eröffnet einen Reflexionsraum, der zugleich Grundlagenwissen über die Religionen vermittelt. Dieser Reflexionsraum basiert auf dem Prinzip des kollaborativen Lernens und will so Wissensaneignung fördern und ermöglicht es, die Kompetenz des Perspektivenwechsels einzuüben. Dazu orientieren sich die Dozierenden an der Methode des selbstgesteuerten Lernens. Diese Prozesse unterstützen die Doz., indem sie den TN Wahlfreiheit bei den Themen der Blogeinträge lassen. Die Doz. wirken als Moderatorinnen und Coaches, um das selbständige Lernen zu unterstützen. Die Doz. geben, wo nötig, Hilfestellung für die Planung und Durchführung der Blogeinträge. Den TN wird dadurch ein hohes Mass an Eigenverantwortung und Freiraum geboten. Bei den Gesprächen mit den Expertinnen und den Praxis-Vertretern kommt den Doz. eine moderierende Rolle zu. Sie verstehen sich dabei primär als Typus der Übermittlerinnen resp. Übermittler.
Neben dem gemeinsamen Erarbeiten der Blogbeiträge liegt ein zweiter Schwerpunkt auf persönlichem Austausch, der zur Förderung der interreligiösen Kompetenz des Perspektivenwechsels grundlegend ist: Zum einen erhalten die TN durch peer-review-Verfahren die Möglichkeit, gemeinsam über die Relevanz interreligiöser Themen zu reflektieren und Definitionen von «inter-religiös» kritisch zu diskutieren. Zum anderen soll dieser Austausch durch die Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Theorie und Praxis angeregt und fundiert werden. Charakteristika von Religionen lassen sich nicht ausschliesslich über Textarbeit kennenlernen. Die persönlichen Begegnungen werden von Doz. und TN gemeinsam vorbereitet und sollen die Möglichkeit bieten, theoretische Aspekte konkret in der Praxis zu erproben. Die Lehrkonzeption sieht vor, dass den Doz. die Rolle der Lernbegleiterinnen zukommt, die Begegnungen ermöglichen und durch sorgfältige Planung mit den Studierenden diese dazu ermutigen, selbständig Fragen und Beobachtungen einzubringen.
Fazit
Beim FIL-Projekt ist es gelungen, die Studierenden mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Religionsgemeinschaft in der Stadt Bern (Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus) ins Gespräch zu bringen: Die ausseruniversitären Lernorte haben sich als sehr gewinnbringend erwiesen, weil die Begegnungen und das Lernen auf diversen Ebenen stattfanden. Direkte Erfahrungen im Tempel oder dem Meditationsraum verbanden sich mit Austausch und Gesprächen.
Diese praxisnahen Erfahrungen standen in engem Zusammenhang mit jenen Sitzungen, in denen Gäste aus der Forschung und in öffentlichen Ämtern vor Ort waren. Es war ein grosser Gewinn, mit Personen ins Gespräch zu kommen, die an anderen Universitäten (Zürich, Fribourg), in der Öffentlichkeit (Stadt Bern) und in NGOs (Gesellschaft für Bedrohte Völker GfBV) forschen, lehren und somit in Berufsfeldern arbeiten, die insbesondere für IRS-Studierende von grosser Bedeutung sind für die eigene berufliche Zukunft.
Als gelungen erachtet kann auch der Blog werden, der als Wissensspeicher für die gegenwärtigen und die künftigen IRS-Studierenden genutzt werden kann. Da er unabhängig von Semesterthemen oder anderen ordnenden Kategorien befüllt werden kann, ist in der Form des Blogs eine gewisse Kontinuität für die Leistungsnachweise gegeben und gleichzeitig ein Ort gefunden, an dem die Studierenden ein Produkt ihrer Erkenntnisse mit einer breiteren Öffentlichkeit teilen können.
Das FIL-Projekt hat es geschafft, verschiedene Vertreter und Vertreterinnen einer je spezifisch religiösen Perspektive auf das «inter» als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zu gewinnen und so den Studierenden aufzuzeigen, welche Vielfalt, Widersprüche und Gemeinsamkeiten in diesem breiten Feld zu bespielen sind. Gerade die Präsentation diverser Initiativen zur Förderung des interreligiösen Dialogs war aufschlussreich und weiterführend.
Das Verbesserungspotential liegt darin, den Aufbau anzupassen. Das heisst, es sollen nicht mehr bei quasi jeder Sitzung Besuche gemacht oder Gäste eingeladen werden, damit mehr Raum für Reflexion innerhalb der Studierendengruppe entsteht. Zudem wird es helfen, dass seit Dezember 2022 der Blog online ist, die Studierenden können sich folglich ein eigenes Bild machen des Leistungsnachweises. Die Erfahrung aus dem ersten Durchgang der Durchführung hat weiter gezeigt, welche Gäste sich eignen, um die Ziele zu erreichen und in welchen Bereichen andere Vertreterinnen und Vertreter angefragt werden.
Die Lehrveranstaltung wird im FS 2023 erneut angeboten, der Fokus liegt hierbei auf den Besuchen vor Ort und der methodisch basierten Reflexion auf die Situation der einzelnen Religionsgemeinschaften sowie ihr Miteinander in der Stadt Bern. Auch in den kommenden Frühlingssemestern wird die Lehrveranstaltung wieder angeboten werden, immer in überarbeiteter Konzeption auf Grundlage der Erkenntnisse aus der vorangehenden Periode.
Die neu geschaffene Verbindung zu Expert_innen der IRS aus anderen Universitäten und öffentlichen Instituten kann in Zukunft genutzt werden, um auch ausserhalb dieser Lehrveranstaltung über gemeinsame Projekte und Veranstaltungen nachzudenken. Konkret wird Maria Lissek am Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog (ZIID) im Februar 2023 einen Vortrag halten, auch andere Kooperationen sind bereits angedacht. Insofern war und ist die Lehrveranstaltung eine Bereicherung für das Netzwerk der Dozentinnen wie auch der Fakultät.